DHd2020 - Endlich ganz in der Community angekommen
-- Ein Blogpost von Nathalie Wiedmer (SFB 1391) --
Als ich mit dem Schreiben anfange, stelle ich mir die Frage, wie ich diesen Blogbeitrag aufbauen soll. Auf was soll ich eingehen? Ausschließlich auf besuchte Vorträge, auf meinen eigenen Vortrag oder insgesamt auf meine Erfahrungen? Ein kurzer Blick auf die Beiträge anderer Stipendiatinnen und Stipendiaten genügt, um mir zu zeigen, dass von Beiträgen, die vor allem die Vorträge und Themen Revue passieren lassen, bis hin zu ganz persönlichen Erfahrungsberichten alles dabei ist. Erwünscht ist, was gefallen, beeindruckt und interessiert hat. Was hat mir selbst also besonders gefallen, mich interessiert und beeindruckt? Das ist gar nicht so leicht zu sagen, denn es gab so viele tolle Momente, interessante Themen und Menschen, dass die Auswahl nicht leichtfällt. Also der Reihe nach:
Die ersten beiden Workshoptage
Am Montag komme ich nach einer erstaunlich reibungslosen Zugfahrt in Paderborn an. Nach einer kurzen Stärkung mit Kaffee und Keksen geht es direkt zu meinem ersten Workshop mit dem Thema „Bias in Datensätzen und ML-Modellen: Erkennung und Umgang in den DH“. Warum dieser Workshop? Weil ich mich mit dem Thema Bias noch nicht intensiv auseinandergesetzt habe. Ich habe keine eigenen Testdaten mitgebracht, will nur dabeisitzen, zuhören und lernen. In diesem Fall ist das nicht ideal. Also freue ich mich, dass ich einen Kollegen entdecke, den ich bei der DH 2019 in Utrecht kennengelernt habe und setze mich zu ihm. Mit ihm finde ich auf seinen Textdaten heraus, dass in der Welt von Groschenromanen die Bedeutung von weiblichen Figuren in der Nähe von Kindern, Haus und Berufen als Krankenschwester zu finden sind und männliche in der Nähe von Autos und Berufen wie Arzt oder Feuerwehrmann…
Den zweiten Teil des Workshops verpasse ich leider, weil ich am Dienstagmorgen spontan beim Workshop „Maschinelles Lernen lernen: Ein CRETA-Hackatorial zur reflektierten automatischen Textanalyse“ aushelfe. Ich habe vor eineinhalb Jahren bei einem ähnlichen Workshop bereits als Computersupport ausgeholfen, damals noch als Studentin der Digital Humanities. Bei den thematischen Fragen zum Machine Learning war ich damals nicht immer sattelfest gewesen und musste oft selbst noch einmal nachfragen. Nun also eine ähnliche Situation. Wie würde ich mich dieses Mal schlagen? Und dann für mich selbst die schöne Überraschung wie viel ich im letzten dreiviertel Jahr gelernt und an Erfahrungen gesammelt hatte. Ich konnte die Fragen der Teilnehmer beantworten und - was noch interessanter war - ich fand mich selbst in ihnen wieder. Wie kann ich erkennen, ob ein einzelnes Feature meine Ergebnisse besser macht, wenn mit Crossvalidation gearbeitet wird? Ich habe meinen Algorithmus doch so gut an die Trainingsdaten angepasst, warum bekomme ich also auf den ungesehenen Testdaten ein schlechteres Ergebnis? Und überhaupt wie soll man mit so vielen Unsicherheiten und nicht linear funktionierenden Gegebenheiten arbeiten? Genau diese Fragen haben mich damals auch umgetrieben. Mittlerweile habe ich ein anderes Verständnis dafür. Ich freute mich auf weitere Aha-Erlebnisse, die mir meine eigene Entwicklung zeigen.
Mit der Keynote und dem Eröffnungsempfang am Dienstagabend kommt das „Konferenzfeeling“ endgültig an, zusammen mit vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen. Einige kenne ich bereits von der DH 2019 in Utrecht oder anderen Veranstaltungen und so fühle ich mich schnell mehr mittendrin als nur dabei. Die tolle Organisation der ganzen DHd sowie die Buffets, die bei jeder einzelnen Gelegenheit sowohl besonders lecker als auch absolut ausreichend für alle Hungrigen sind, sollten viel öfter lobend erwähnt werden. Deshalb möchte ich dies an dieser Stelle tun, denn es ist wirklich beeindruckend wie in kürzester Zeit nach der Keynote so viele Menschen mit leckeren Häppchen, Suppen und feinen Nachtischen versorgt werden. Die dadurch geweckten Erwartungen werden auch die restliche Woche über nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil. Auch die sonstige Organisation von der Verteilung der Hinweisschilder auf dem Campus (für mich als Orientierungsanalphabet essenziell) bis hin zu den Bustransfers und Stadtführungen sind wunderbar organisiert und funktionieren immer reibungslos.
Die Vorträge beginnen
Am Mittwochmorgen besuche ich einen Vortragsslot über quantitative Zugänge zu Bildern. Besonders weil ich noch nie mit Bildern im DH-Kontext gearbeitet habe, interessiert mich diese neue Perspektive. Ein Algorithmus, der auf Bilddaten trainiert wird, enthält das Wissen dieser Trainingsdaten. Bei der Visulisierung der Klasse „fence“ zeigt der Algorithmus das für ihn prototypische stilisierte Bild eines Zauns – deutlich sieht man Hände, die den Draht umklammert oder sich durch die engen Lücken zwängen. In unserer Kultur sieht man Zäune also meistens nicht also bloße Zäune, sondern sie implizieren, dass Menschen dahinter eingesperrt sind, am Weitergehen gehindert und voneinander getrennt werden. Eine vielleicht nicht erstaunliche, aber doch bemerkenswerte Tatsache, wie ein Algorithmus kulturelles Wissen aufbereitet.
Am Mittag bin ich dann selbst an der Reihe mit meinem Beitrag „Romeo, Freund des Mercutio: Semi-Automatische Extraktion von Beziehungen zwischen dramatischen Figuren“. Vor mir stellen noch zwei Kollegen ihre Projekte in diesem Dramenanalyse Slot vor. Mein erster Vortrag auf einer Konferenz! An dem Thema habe ich monatelang gearbeitet, also ist es mir bestens vertraut. Ich stelle eine Methode vor, um Informationen über Figurenrelationen aus dramatischen Texten zu extrahieren. Konkret geht es darum das Figurenverzeichnis der Dramen maschinenlesbar zu machen und die Figurenrelationen daraus zu extrahieren. Die manuell validierten und korrigierten Datensätze mit extrahierten Figurenrelationen wurden im TEI-Format in das GerDraCor Korpus eingespeist, sodass nun alle Interessierten mit diesen Daten forschen kann.
Das Gefühl nach dem Vortrag ist vor allem Erleichterung. Es wird sogar über mich getwittert. Jetzt habe ich das Gefühl richtig und endgültig in der Community angekommen zu sein!
Und der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Am Abend nehme ich an der Stadtführung teil, springe mit den anderen Teilnehmern auf der Paderquelle herum, um Luftblasen im Quellbecken zu erzeugen und singe mit ihnen in einer kleinen, uralten Kapelle „Bruder Jakob“. Eine anfangs befremdliche Situation, die doch alle bald, ob des gigantischen Echos in Erstaunen versetzt. Bei dieser Akustik könnten wir zu zehnt einen highclass Chor gründen. Wie wäre das erst mit jemandem gewesen, der tatsächlich singen kann?!
Im Anschluss treffe ich mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rathaus zur Urkundenvergabe ein. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Sponsoren und Organisatoren, die das möglich gemacht haben!! Zur Urkunde dazu gibt es einen Edelstahl-Kaffeebecher mit Uni-Logo – eine wirklich schöne und nützliche Idee. Bei Wein und Snacks lassen wir den Abend gemütlich ausklingen.
Am Donnerstag schauen alle auf die Akteure des Posterslams und die anschließende Vorstellung der Poster. Während beim Slam die kreativen Ideen der Teilnehmenden bestaunt werden durften, spielte bei der Postervorstellung der persönliche Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen die wichtigste Rolle. Wer arbeitet an was? Wo gibt es Anknüpfungspunkte ans eigene Projekt? Von welchen Arbeiten hat man noch nie gehört und worauf würde man später noch einmal zurückkommen?
Ein besonderes Highlight ist die Eventphysikshow. Ich hatte bisher noch nichts damit zu Vergleichendes gesehen. Vor allem, dass der Bereich thematisch so gar nichts mit meiner sonstigen Arbeit zu tun hat, ist für mich spannend. Einige Stichflammen, durch die Luft fliegende Blechtonnen und meterhohe Schaumfontänen später, machen wir uns auf den Weg zum Conference Dinner. Auch hier läuft der Bustransfer wieder reibungslos und ich genieße den Austausch mit bekannten und weniger bekannten Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen.
Im Austausch mit anderen Forschenden
Gerade dieser Austausch ist für mich auf der Konferenz mit am bereicherndsten gewesen. Persönlich miteinander am Tisch zu sitzen, zu essen, zu trinken und sich dabei zu unterhalten ist einfach etwas völlig anderes, als sich E-Mails zu schreiben oder gegenseitig den Vorträgen zu lauschen. Beides sind wichtige Aspekte unserer Arbeit, aber auch der persönliche Kontakt sollte nie zu kurz kommen und dafür ist eine Konferenz im Allgemeinen und ein solches Dinner im Besonderen einfach die perfekte Möglichkeit. Darüber hinaus hat man bei der großen Auswahl an Themen die Möglichkeit über den Tellerrand hinauszuschauen und Vorträge aus anderen Fachbereichen oder mit anderen Schwerpunkten zu besuchen. Zusätzlich bot mir die DHd 2020 die Gelegenheit herauszufinden, welche Entwicklung ich in den letzten Monaten als Doktorandin bereits durchlaufen hatte und einige meiner Ziele neu zu setzen. Eines davon ist sicher diese tollte Erfahrung „Konferenz“ zu wiederholen und ich freue mich jetzt schon auf die DHd 2021. Bis dahin trinke ich einfach regelmäßig aus meinem neuen Edelstahl-Kaffeebecher mit Unilogo und erinnere mich an diese spannende Woche zurück.
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Über die Autorin
Nathalie Wiedmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB 1391 „Andere Ästhetik“ der Universität Stuttgart und Universität Tübingen und promoviert zum Thema „Automatische Figurencharakterisierung in Erzähltexten“. Auf der DHd 2020 präsentierte sie ihre Arbeit zu Figurenbeziehungen in Dramen mit dem Beitrag „Romeo, Freund des Mercutio: Semi-Automatische Extraktion von Beziehungen zwischen dramatischen Figuren“.
Zitiervorschlag
Wiedmer, Nathalie. (2020): „DHd 2020 - Endlich ganz in der Community angekommen.“ In: CLARIN-D Blog, 25.6.20. URL: https://www.clarin-d.net/de/blog-clarin-d/108-dhd2020-blogpost-von-nathalie-wiedmer-sfb1391.
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